Der Stuttgarter Alpecin-Fenix-Profi Alexander Krieger ist einer von nur acht deutschen Startern beim diesjährigen Giro d‘Italia. Der 29-Jährige steht das erste Mal beim „Corsa Rosa“ am Start und spielt im Sprintzug um Tim Merlier eine wichtige Rolle. Im Interview mit Alpecin Cycling spricht er über seine eigenen Erwartungen, die Ziele des Teams und die Chance auf einen Etappensieg für die Mannschaft.
Wann hast Du von Deiner Nominierung für den Giro erfahren?
Die Umstände waren etwas skurril, denn das war der Tag bei der Türkei-Rundfahrt, an dem ich schwer gestützt bin und das Rennen aufgeben musste. In der Situation hat es mich dann aufgemuntert, Es war auch für mich ein gutes Signal, mich jetzt nicht gehen zu lassen. Ich war natürlich schon frustriert, wieder gestürzt zu sein. So konnte ich aber aus der schwierigen Situation trotzdem noch Motivation ziehen.
Es war davor schon in der Diskussion, dass ich am Giro teilnehmen soll, aber an dem Tag wurde dann tatsächlich mir gegenüber die Nominierung bekanntgegeben. Ich hatte auch schon zu Beginn der Saison gesagt, dass ich mich freuen würde, den Giro zu fahren – aber das war ja nur eine Absichtserklärung meinerseits.
Wie fühlt es sich an, bei seiner ersten Grand Tour am Start zu stehen?
Ich bin schon aufgeregt. Ich bin aber auch generell bei anderen Rennen aufgeregt. Das ist nicht so, dass das Rennen fahren bei mir schon zur Routine geworden ist – besonders nicht bei World Tour-Wettbewerben. Aber ich empfinde das auch als etwas Gutes. Man lernt natürlich über die Jahre dazu, wird routinierter, und weiß damit umzugehen. Aber so eine leichte Vorstartnervosität zu spüren, bewerte ich, was die eigene Spannung angeht, dann doch als eine sehr gute Sache.
Ich glaube jeder von uns Fahrern im Team hat eine gesunde Portion Respekt vor dem Giro beziehungsweise vor seinen allerersten Grand Tour, da ja nur Louis Vervaeke bislang eine dreiwöchige Landesrundfahrt bestritten hat. Diesen Respekt habe ich auch und bin sehr gespannt, was kommt. Mir ist auch bewusst, dass ich mich nicht ganz so perfekt vorbereitet vorbereiten konnte. Gerade wegen des Sturzes in der Türkei, der mich ja schon für über eine Woche aus dem Trainingsbetrieb rausgenommen hat. Es ist jetzt nicht alles optimal gelaufen bei mir, deshalb kann man jetzt keine Wunder erwarten. Nicht um das falsch zu verstehen, ich bin natürlich konkurrenzfähig, sonst würde ich ja nicht am Start stehen.
Jetzt muss man einfach sehen, was kommt und das Ganze auch ein bisschen unter dem Motto eines Abenteuers sehen. Ich muss einfach gut in die Rundfahrt reinkommen und meinen Job erledigen.
Was sind Deine Aufgaben im Rennen?
Das hängt natürlich von der jeweiligen Etappe ab und wird dann auch noch im Detail besprochen. Vorerst werde ich Tim (Merlier; Anmerk. der Red.) im Sprint beim Lead-out helfen. Darauf liegt im Moment mein Fokus und dann sehen wir weiter. Je nach eigener Verfassung und dem Rennverlauf kommen eventuell weitere Aufgaben hinzu.
Welche Ziele verfolgt das Team beim Giro?
Der Etappensieg durch Tim Merlier ist schon ein ausgegebenes Ziel für uns. Wir werden jetzt nicht total geknickt abreisen, wenn es nicht geklappt hat. Aber mit einem Fahrer wie Tim sehe ich es auch als realistisch an, dass wir hier eine Etappe abschießen können. Natürlich gehört auch immer ein wenig Glück dazu. Und es ist auch nicht unrealistisch, mit Gianni Vermeersch oder Louis Vervaeke eine Etappe zu gewinnen. Aber die größten Chancen und Möglichkeiten sehe ich schon in den Sprints mit Tim. Er ist einfach brutal schnell. Natürlich verläuft ein Sprintfinale und dessen Vorbereitung bei einer großen Grand Tour auf einem anderen höheren Niveau. Diese Chance, die wir dort haben, wollen wir natürlich auch nutzen. Ich sehe es jetzt aber auch nicht so, dass es von uns unbedingt erwartet wird, eine Etappe zu gewinnen. Der Stress beziehungsweise der Druck ist jetzt nicht immens groß.
Wie schätzt Du persönlich die Chancen ein, dass Tim Merlier eine Etappe gewinnt?
Ein Pluspunkt für uns ist, dass Tim immer noch unterschätzt wird. Was ich sehe, wie ich ihn kenne und was ich für ein Gefühl habe, zählt er zu den drei schnellsten Sprintern in der Welt. Ich glaube schon, dass er bei jedem Radrennen, bei dem es zu einem Massensprint kommt, vorne dabei sein kann. Er ist super super schnell und braucht sich auf der Welt vor keinem anderen Fahrer verstecken. Er kann alle schlagen. Natürlich gehört auch Glück dazu. Es könnte uns ein wenig in die Karten spielen, dass er beispielsweise noch nicht so ein Standing im Peloton hat wie ein Caleb Ewan.
Was sind Deine persönlichen Ambitionen bzw. wirst Du auf bestimmten Etappen auch mal eine freie Rolle bekommen?
Wenn die Chance kommen würde, dann nehme ich sie natürlich gerne wahr. Aber erst mal steht das nicht im Fokus. Natürlich denkt man als Fahrer auch insgeheim, dass sich irgendwann mal eine Chance ergibt. Aber wenn dem nicht so ist, dann traure ich dem auch nicht nach. Ich rechne nicht damit, aber wenn es mal eine Möglichkeit geben würde, dann wäre es umso schöner. Wenn wir mit Tim eine Etappe gewinnen, dann gehe ich überglücklich aus diesem Giro raus.
Aber Mailand ist und bleibt ein Ziel?
Keine Frage: ich will unbedingt in Mailand ankommen. Ich will das Rennen zu Ende fahren. Klar muss ich schauen, wie es mir geht. Wenn es dann doch keinen Sinn macht, dann muss ich am Ende auch aussteigen.
Natürlich kommen hinten raus wirklich ein paar hammerschwere Bergetappen. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Ich fahre auch gern Berge. Ich gehöre da sicher nicht zu den Besten, aber ich kann solche Anstiege auch genießen. Aber man kann sie halt auch nur genießen, wenn man nicht jeden Tag ums Überleben kämpfen muss. Es ist angenehm, wenn ich recht solide im Gruppetto mitfahren kann. Und da bei uns das Gesamtklassement erstmal keine Rolle spielt, wird es auch Tage geben, an denen mein Ziel einfach sein muss, so viel Energie wie möglich zu sparen.
Wenn das Wetter schön ist und ich ganz gut mitfahren kann, dann genieße ich auch so eine schwere Etappe in den Bergen. Ich mag die Landschaft dort. Und ich freu mich auch da drauf. Aber wir sollten darüber mal in zweieinhalb oder drei Wochen reden. Vielleicht sehe ich es dann etwas anders.
Ich hoffe, dass alles so wird, wie ich es mir vorstelle. Aber wie gesagt, es wird ein Abenteuer. Es wird sicher auch Tage für mich geben, an denen es super hart wird. Dessen bin ich mir schon bewusst. Da gilt es dann, nur durchzukommen. Da muss ich kein Hehl draus machen. Das wird sicher früher oder später eine harte Geschichte werden.
Ist die erste Grand Tour auch als Lernprozess zu sehen – beispielsweise auf weitere Grand Tours wie die Frankreichrundfahrt?
Natürlich ist es eine neue Erfahrung, da wir alle – bis auf Louis Vervaeke – noch nie eine Grand Tour gefahren sind. Aber jeder Fahrer hat für sich natürlich schon seine eigenen Ziele, Erwartungen und Vorstellungen, was in den kommenden drei Wochen passieren soll. Da muss das Team gar keine Vorgaben machen. Klar muss jeder von uns erst einmal darauf schauen, wie sein Körper auf drei Wochen am Stück Radrennen zu fahren reagiert.
Das ist schon etwas sehr Spezielles, denke ich mir. Für das gesamte Team wird es ein Lernprozess sein. Da sehe ich nicht einmal so sehr die Fahrer im Vordergrund, sondern auch den Staff – also das Personal. Es geht ja auch darum, die Abläufe bei einer großen Landesrundfahrt zu lernen. Am Ende lässt sich nicht alles planen, denn man muss ja auch auf Unvorhergesehenes reagieren können.
Obwohl der Giro für uns etwas komplett Neues ist: Alle sind sehr ambitioniert und es herrscht eine sehr gute Stimmung im Team. Bei uns liegt der Fokus nicht darauf, um jeden Preis in eine Ausreißergruppe zu gehen, um Fernsehminuten zu bekommen. Natürlich ist das wichtig, aber wir haben ganz klare sportliche Ziele. Wir wollen ein Ergebnis holen.
Fotos: RCS Sport / La Presse, Photonews
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